Über den Jordan zu gehen, hört sich
nicht gut an. Es bedeutet verlorengehen, oder gar sterben! Der Jordan steht für
eine Schwelle, von der es -einmal überschritten- kein Zurück mehr gibt. Jesus ist für uns über den Jordan
gegangen. Als Johannes der Täufer in der Wüste stand und die Menschen zu ihm
strömten, um sich von ihm taufen zu lassen, da kam auch Jesus. Er stellt sich
in die Reihe der Menschen, die Buße tun wollten, die bekennen wollten, dass sie
Sünder sind, und sich aufgemacht hatten, ihr altes Leben abzuwaschen, um fortan
als NEUE Menschen -mit Gott versöhnt- zu leben. In die Reihe dieser Menschen
stellt sich Jesus. Er, der ohne Sünde war, hätte das nicht nötig gehabt.
Die Ikonen, welche die Taufe Jesu
zeigen, gewähren einen Einblick in dieses Rätsel: Jesus steht im Wasser, und
dort, im Jordan, tummeln sich nicht nur allerlei Fische, sondern auch ein paar
bedrohliche Seeungeheuer. Die Welt mit all ihren Mächten ist anwesend, als Gott
-die wahre Macht- in sie eintaucht. Jesus taucht ein in die ganze
Schöpfung, nicht nur in den angenehmen Teil des Lebens. Tut das nicht etwa, weil er muss, sondern weil
er will, weil es seine Sendung ist: Gott taucht ein in unsere Welt, die dabei
ist, über den Jordan zu gehen, weil Kriege, Habgier, Neid und Macht dabei sind,
alles ins Verderben zu ziehen.Jesus geht über den Jordan, damit die Welt nicht
verlorengeht. Der Jordan ist für Christus ein Ort
der Entscheidung, seine Taufe ein Ereignis, nach dem es kein Zurück mehr gibt.
Sein Weg führte von der Krippe durch
eine unauffällige Kindheit. Mit etwa 30 Jahren machte sich Jesus auf den Weg
durch die Wüste bis hierher. Der Weg, der nach der Taufe vor ihm lag, führte
ihn geradewegs zum Kreuz. Alles andere als komfortabel. Aber das ist die
Sendung, die Gott bestimmt und gesegnet hat. Überall dort, wo Gott in unsere
Welt eingetaucht war, da öffnete sich für die Welt der Himmel: in der Heiligen
Nacht, bei der Taufe im Jordan, und erst recht bei der Auferstehung nach dem
Kreuz. Als Gemeinschaft der Getauften -als
Kirche- sind wir berufen, auf den Spuren Christi zu gehen und Ihm nachzufolgen,
auch über den Jordan, und das meine ich genauso doppeldeutig, wie es klingt.
Vieles geht in unserer Zeit über den
Jordan. Wir stehen als Kirche wieder einmal am Punkt der Entscheidung, manches
Gewohnte und Liebgewonnene zurückzulassen. Viele Entwicklungen, von denen wir
dachten und hofften, sie würden sich allmählich vollziehen, wurden durch die Pandemiebedingungen
der vergangenen Monate beschleunigt. Ob wir all jene, die wir seit Monaten
nicht mehr in unseren Reihen gesehen haben, in der Kirche jemals wiedersehen
werden, das weiß Gott allein. Hier steht jeder einzelne Christ am Jordan, und
muss sich entscheiden. Sehr wahrscheinlich werden wir nicht
alle wiedersehen. Sehr wahrscheinlich wird unsere Gemeinschaft kleiner werden
und kleiner bleiben. Sehr wahrscheinlich werden unsere Mittel und Möglichkeiten
geringer.
Immer wieder hat die Kirche in ihrer
Geschichte genau diese Erfahrung gemacht: dass sie mit Christus sprichwörtlich
über den Jordan gehen muss, um zu leben, um von Grund auf gereinigt und
erneuert Ihm nachzufolgen, um Ihm und Seiner Sendung treu zu bleiben. Glaube
und Kirche darf sich nicht im Gewohnten und Angenehmen verlieren. Wir können in der Krise und in
Schwierigkeiten auf Christus schauen und von Ihm lernen, wie wir Wege gehen
können, die wir uns nicht ausgesucht haben, auf denen wir jetzt aber stehen.
Das Gebet und die Bereitschaft zur Erneuerung, die Bereitschaft zu neuen Wegen
sind ganz entscheidende Voraussetzungen für unseren Weg als Getaufte.
Was im Jordan an Jesus sichtbar für
die Welt geschehen ist, das geschieht an uns: In der Taufe nimmt Gott uns an
Kindesstatt an, unwiderruflich. ER nennt uns beim Namen, und schenkt uns neues
Leben. Diese Verbindung zum Himmel kann gerade in der Krise Ruhe und Vertrauen,
und auch ein bisschen Gelassenheit schenken.
Was kann uns scheiden von der Liebe
Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder
Schwert? Ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch
Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns
scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. (Röm
8,35.38)
Mit Christus verbunden sein bedeutet
auch, die Komfortzone zu verlassen, so wie er es getan hat, auf seinem Weg
durch die Wüste, auf seinem Weg zum Kreuz. ER geht mit.
Vor einiger Zeit habe ich einen Nachruf
auf einen verstorbenen Priester gelesen. Was wurde da erwähnt? Er hatte gebaut:
Die Kirche renoviert und erweitert, das Pfarrheim gebaut, den Kindergarten
gebaut und erweitert, den Glockenturm gebaut, die Filialkirche gebaut und
manches mehr. Es ist die typische Biographie eines Priesterlebens in
vergangenen Jahrzehnten. Es ist die typische Biographie der Kirche in
vergangenen Jahrzehnten, die ihre Komfortzone stets erweitern konnte. Was wird wohl einmal in meinem Nachruf
stehen? Darüber werden sich Andere Gedanken machen müssen. Sehr wahrscheinlich
wird es die typische Biographie der Kirche der kommenden Jahrzehnte.
Wir werden uns als Kirche auch vor Ort
in der Pfarrgemeinde die Frage stellen müssen, was uns Gott näher bringt - und
was uns hindert, Ihm näher zu kommen. Helfen unsere Strukturen und
Einrichtungen noch dabei, Menschen zu Christus zu führen? Oder ist die Kirche
des Westens vielleicht schleichend zu einem Sozial- und Freizeitdienstleister
geworden, und in Versuchung, den Geist Gottes gegen den Zeitgeist
einzutauschen, um die eigene Komfortzone zu sichern? Was ist unser Auftrag? Und wer ist
unser Auftraggeber? Wem wollen wir dienen?
Diesen Fragen werden wir uns stellen müssen, wenn der Weg der Kirche in den nächsten Jahren vielleicht durch die Wüste führt, und an den Jordan, den Ort der Entscheidung. Wir werden gut daran tun, bei unseren Überlegungen und Entscheidungen um den Heiligen Geist, den Ratgeber und Beistand zu beten. Ihn finden wir, wenn wir auf Christus, auf sein Leben und Beispiel schauen und Ihm folgen. Wir sind auf Christi Tod und Auferstehung getauft. Das heißt, dass seine Wege -ob bequem oder unbequem- auch unsere Wege und die Wege der Kirche sind. ER geht mit, auch über den Jordan, weil auf der anderen Seite das Leben liegt. Als ER getauft wurde, ließ sich Gottes Heiliger Geist auf ihm nieder und eine Stimme sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Gefallen gefunden.
Dieser Zuspruch gilt auch uns!
Katholische Pfarrgemeinde
St. Georg Großenlüder
Herrengasse 6
36137 Großenlüder
Pfarrbüro - Öffnungszeiten
Montag: 9.00-11.00 Uhr | 15.00-18.00 Uhr
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